Mein Name ist Anja Müller, ich bin selbständige Friseurin und weiß seit ca. 5 Jahren, dass ich Multiple Sklerose habe.
Zwar gehöre ich glücklicherweise zu den MS Fällen, denen es gesundheitlich soweit sehr gut geht vielleicht auch, weil ich in den letzten Jahren versucht habe, der Krankheit keinen Raum in meinem Leben zu geben. Ich weiß aber auch, dass das Leben mit MS jeden Tag eine tief greifende Veränderung mit sich bringen kann und ich gesundheitlich bis heute sehr, sehr viel Glück gehabt habe.
Mein Alltag seit der Diagnose hat sich dennoch erheblich verändert, sowohl privat, als auch beruflich.
Als MS 2001 bei mir festgestellt wurde war ich noch als angestellte Friseurin in einem Friseursalon in der Nähe von München beschäftigt. Die Krankheit wäre wahrscheinlich bis heute bei mir nicht festgestellt worden, währen da nicht immer wieder Momente in meinem Leben gewesen, in denen ich mich gefühlt habe, als wäre ich in Watte gepackt und würde über Wolken gehen. Das hört sich jetzt sicherlich ein wenig seltsam an, aber ich hatte von Zeit zu Zeit immer wieder das Gefühl, regelrecht über den Boden zu torkeln und zuschweben. Ein Gefühl, als wäre ich betrunken, nur war ich es nicht. Keiner ausser mir selbst konnte das sehen, weil ich ja auch in Wirklichkeit ganz normal gegangen bin, gefühlt habe ich aber anders. Meine Kolleginnen im Salon haben damals sicherlich gedacht, die Anja spinnt ein bisschen, immer wieder habe ich ihnen von meinem "komischen Zustand" erzählt.
Als ich dann zu meinem Arzt gekommen bin, der mich nach zahlreichen Untersuchungen mit der Diagnose MS konfrontiert hat, war ich erst einmal sprachlos, aber nicht großartig schockiert. Ich dachte mir nur – Ok, Du hast MS und jetzt? Mir geht es doch, abgesehen von diesen komischen Schwebephasen, richtig gut und deshalb kann ich gar keine unheilbare Krankheit haben und von Medikamenten wollte ich so gar nichts wissen. Ich habe dann aber doch bis zu meinem zweiten Schub Cortisoninfusionen bekommen, die ich danach gegen den Willen meines Arztes abgesetzt habe. Ich wollte meine Krankheit und mein Leben selbst in den Griff bekommen. Seither nehme ich keine Medikamente mehr.
Die Monate nach der Diagnose bin ich dann erst einmal regelrecht vor mir selbst geflüchtet, ich wollte mir und allen Anderen in meinem Umfeld beweisen wie gut ich mich fühle und das die Diagnose MS nur ein ganz großer Irrtum sein kann.
Ich war nur noch unterwegs, habe gearbeitet, mich mit Freunden getroffen und bin durch Diskotheken und Kneipen gezogen und das fast jeden Abend. Irgendwann ging es mir dann wirklich nicht mehr gut, was sicherlich weniger an meiner Krankheit, als an meinem übertriebenen Lebenswandel gelegen hat. Mein Körper befahl mir auf einmal kürzer zu treten, ich musste anfangen auf mich aufzupassen und auf die Signale meines Körpers zu hören. Ich habe gemerkt, dass es so mit mir nicht mehr weiter gehen kann und zudem festgestellt, dass sich die Anzeichen meiner Krankheit fast immer nur in der Arbeit bemerkbar gemacht haben, zuhause war das Schwindelgefühl wieder verschwunden.
Hinzu kam, dass sich das Verhalten meiner Chefin mir gegenüber, seit sie von meiner Krankheit erfahren hatte, stark verändert hat. Sie hatte scheinbar Angst, dass ich nicht mehr mit vollem Elan für sie tätig sein könnte und das ich als zuverlässige Arbeitskraft über kurz oder lang ausfallen würde und das ließ sie mich nur zu deutlich spüren. Ich war unzufrieden, traurig und irgendwie fühlte ich mich alleine gelassen, ohne es wirklich zu sein.
An diesem Punkt kam es zu einer einschneidenden Wende in meinem Leben, die ich in erster Linie einem Menschen zu verdanken habe, der mein Leben positiv verändern sollte. Adam kam unangemeldete in unseren Salon und wollte sich die Haare schneiden lassen, damals ahnte ich noch nicht im Geringsten, dass aus dieser ersten und zufälligen Begegnung eine wunderbare Freundschaft entstehen würde.
Ohne mich und meine Geschichte zu kennen merkte er sofort, dass es mir nicht annähernd so gut geht, wie ich es nach außen immer versucht habe zu zeigen – und er hatte so Recht. Ich hatte zwar keine körperlichen Beschwerden, aber in meiner Seele hat sich das Bewusstsein und die Angst vor der Krankheit ganz tief festgesetzt.
Er muss das gespürt haben und hat es sich damals scheinbar zur Aufgabe gemacht mir zu helfen. Durch unsere Gespräche habe ich gelernt, meine Krankheit zu akzeptieren, er hat mir die Kraft gegeben mein Leben selbst in die Hand zu nehmen.
Ich habe bei meiner Chefin gekündigt und mich als Friseurin selbstständig gemacht. Für mich war das nicht nur ein Neubeginn, sondern regelrecht eine Genugtuung ihr zu zeigen, dass ich zwar MS habe, aber trotzdem immer noch die alte Anja bin.
Heute ist Adam der Unbekannte mein bester Freund und so etwas wie meine ganz persönliche Therapie. Durch ihn habe ich gelernt wie wichtig es ist, gute Freunde zu haben.
Ich versuche bewusster zu leben und auf die Signale meines Körpers zu achten. Wenn es mir schlecht geht oder ich mich müde und schlapp fühle, dann verschiebe ich meine Termine einfach auf den nächsten Tag und kümmere mich um mich selbst.
Ich weiß, dass es vielen anderen MS Kranken sehr viel schlechter geht wie mir und auch ich habe leider kein Patentrezept für den täglichen Kampf mit MS, aber ich glaube jeder von uns kann seinen ganz persönlichen Weg finden, um mit dieser Krankheit umzugehen. Wir müssen versuchen, einfach mehr auf die Signale unseres Körpers zu hören und vor allem auf uns selbst noch mehr zu achten.